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Shitstorm: Digitale Schelte in Echtzeit

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Zeitaufwändig abstimmen und Zettel auszählen, um persönliche Meinungen zu erfassen und so Kritik zu kanalisieren, das war gestern. Heute kommt das Ergebnis als Quittung für inkorrektes und anstößiges Verhalten in Sekundenschnelle ins digitale Postfach geflattert. Und zwar nicht als geduldiges Stück Papier, sondern als schiere Naturgewalt. Sie tritt mit einer solchen Vehemenz in Erscheinung, dass Unternehmen, Verbände und Privatpersonen förmlich weggefegt werden. Wieder bei Sinnen, finden sich die so Attackierten unter einem Haufen Häme wieder, aus dem sie sich erst einmal befreien müssen. Dann erst kann reagiert werden.

Shitstorm heißt der virtuelle und oft dreckige Tornado, der immer öfter durch die vernetzte Welt fegt. Dieses Phänomen ordnet das bisherige Machtverhältnis zwischen traditionellen Meinungsmonopolisten und der zunehmend sozial vernetzten Mediengemeinde neu. Denn die Mitarbeiter- und Umweltpolitik zahlreicher Industrieriesen, die eigennützige Inanspruchnahme gesetzlich zugesicherter Altersbezüge angesichts starker öffentlicher Kritik und die unlautere Kommunikation von Marken trifft mehr und mehr auf gehörigen Gegenwind. Besonders stark wirken die Kräfte dort, wo sich aus einem Anfangsverdacht eine massive und massenhafte Diskreditierung der Meinungsgegner entwickelt. Doch nicht immer geht es um die Bestrafung eines vermeintlichen Schuldverursachers – manchmal ist es einfach nur der Spaß daran, die Großen zu ärgern (ausgewählte Beispiele):

Deutsche Bahn AG (Produkt: “Chef-Ticket”): Die DB wirbt auf ihrer Facebook-Seite für Fahrten in ganz Deutschland für 25,- € > Die Medienplattform wird von Bahn-Kritikern in der Folge dazu genutzt, sich über die Unternehmenspolitik des Konzerns Luft zu verschaffen > Durch unterlassene bzw. zu defensive Kommunikationspolitik gegenüber der Netzgemeinde entsteht ein “Public-Relations-Debakel”.

Henkel AG (Produkt: Pril): Im Henkel-Online-Portal wird um Ideen zur neuen Optik der Pril-Flasche gebeten > Es werden fast ausschließlich absurde Gestaltungsvorschläge gemacht > die Ergebnisliste wird durch das Unternehmen eigenmächtig bereinigt > Der Effekt: Starker Unmut in der virtuellen Henkel-Community.

Nestlé (Produkt: KitKat): Bei der Gewinnung von Palmöl werden, so die Kritik, die Lebensräume der Orang-Utans zerstört > Gegner veröffentlichen ein abschreckendes Video > Nestlé schaltet erst die Facebook-Fanseiten und dann die eigene Präsenz ab > Nestlé erteilt ein generelles Sendeverbot des Videos > das Video wird mehrfach wieder ins Internet eingestellt > Zunächst entsteht ein großer Reputationsschaden, inzwischen ist nach öffentlichkeitswirksamen Gegenmaßnahmen eine Entspannungsphase eingetreten.

ING DiBa (Online-Banking): Der deutsche Basketball Star Dirk Nowitzki nimmt eine Scheibe Fleischwurst an der Wursttheke einer fiktiven Metzgerei in seiner Heimatstadt entgegen > Ein Aufschrei geht durch die virtuellen Vegetariergemeinde > Der Effekt für das Bankunternehmen: eine gesteigerte mediale Aufmerksamkeit hat die anfängliche inhaltliche Kritik inzwischen in den Hintergrund gedrängt.

Die Zeiten, in denen Unternehmen ihre Werbewirkung von A-Z kontrollieren konnten, sind mit Sicherheit vorbei. Alles hat zwei Seiten, so auch die Medaille der Kommunikation. Doch egal, welche Hälfte man betrachtet, die Kontur ändert sich nicht: Meinungsmacher – das sind wir (alle).

Für den Umgang mit geäußerter Kritik im Internet, egal ob berechtigt, überzogen oder einfach nur unappetitlich, sollten einige grundsätzliche Konventionen gelten:

– Anerkennung der medialen Meinung als Tatsache
– Kritische Auseinandersetzung mit den Vorhaltungen / Entwicklung von Verständnis
– Angemessene Reaktion und offene Kommunikation
– Integration von Kritik und Kritikern in die Entwicklung kommunikativer Unternehmensziele

Natürlich sollten Unternehmen zwar aktiv keinen Shitstorm provozieren, doch falls er unvermittelt aufzieht, müssen sie auch nicht in Angst erstarren. Wenn sich die öffentliche Meinung phasenweise gegen sie wendet, zeugt es von Mut, Souveränität und vor allem Kreativität, sich auf das Medienspektakel einzulassen. Manchmal birgt dieser Moment auch die Chance, sich in einem anderen Licht zu präsentieren. Dass alteingesessene Unternehmen durchaus ein neues Image vertragen können, hat das Beispiel Jägermeister gezeigt. Gestern noch das das langweilige Altherrengetränk, gilt der Kräuterschnaps nun schon seit vielen Jahren als einer der der angesagten Partydrinks. Was wäre, wenn Henkel sein Vorzeigeprodukt Pril heute mit einem leckeren Grillhähnchen – so einer der Änderungsvorschläge – anstelle des althergebrachten Produktlogos bewerben würde? Das wäre mal was anderes!

Ein professionell ausgeführtes Social Media Marketing hat sich schon für zahlreiche Unternehmen unterschiedlicher Größenordnung als wertvolles Kommunikations-Instrument erwiesen. Wo Marktteilnehmer medial präsent sind, müssen auch Hersteller und Dienstleister ihre Botschaften platzieren. Oft ist dazu eine kritische Auseinandersetzung mit der öffentlichen Meinung nötig. Entscheidend ist, ob dieser Disput transparent und nachvollziehbar abläuft.

Fest steht: Nur wenn Konzerne, Institutionen und Privatpersonen des öffentlichen Lebens – aber auch ihre allzu oft anonymen Kritiker – öffentliche Vorhaltungen, Klarstellungen und Krisenbewältigungen mit einer Prise Humor führen, besteht die Aussicht, dass auch der stärkste Shitstorm irgendwann nachlässt und sich als laues Lüftchen verzieht.